Die Nürnberger Kaiserburg war das Quartier des Seminarfachs Geschichte, das vom 24. bis zum 28. September 2018 unter der Leitung von Frau Perret und in Begleitung von Frau Weissleder unterwegs war.
Die Stadt bot viel zu unseren Themenschwerpunkten Spätmittelalter und Nationalsozialismus, so besuchten wir Karl IV. auf der Burg, gingen auf den Spuren der NS-Zeit durch Nürnberg und untersuchten im Bahnmuseum die Rolle der Reichsbahn im „Dritten Reich“.
Nach dem vierstündigen Workshop zu den Nürnberger Prozessen am Mittwochvormittag nun nachmittags noch ein Nazi-Propaganda-Film. Wir gehen von der Bahnhaltestelle zum Casablanca-Kino. Von außen sieht das Casablanca nicht nach NS-Propaganda, sondern eher nach Arthouse aus. Ein Eindruck, der sich innen weiterführt. Plakate von ausländischen Filmen, von denen niemand von uns gehört hat. Nun ins Kino. Ohne Popcorn, ohne Cola, die ersten meckern. Dann kommt ein junger Mann, erklärt uns den Film, „pädagogischer Rahmen“, schließlich ist das Propaganda.
Der Film beginnt. Schwarz-weißes Flackern auf einer Leinwand zeigt einen Jungen und einen Kommunisten, der den Jungen zwingt seiner Bewegung beizutreten. Einen Vater, der den Jungen dafür schlägt, dass er zur Hitlerjugend will. Einen Führer der Hitlerjugend, der dem Jungen hilft und ihn unterstützt. Einen Jungen, der sein Leben für die Hitlerjugend gibt. Es macht irgendwie unwohl, keine Seite aus dem Geschichtsbuch, das hier ist echt.
Der Film geht vorbei. Erstmal Stille. Dann wieder der junge Mann, redet wieder über den Film, über Schauspieler, die Message und Kommunisten, er fragt uns ob wir denken, dass es gerechtfertigt ist, dass der Film nur so gezeigt werden darf, ob er Wirkung haben könnte. Auf uns? Nein, die Antwort. Auf ein Kind ohne Wissen über die Schrecken der NS? Ein magenaufwühlendes Vielleicht, die Antwort.
Am nächsten Tag steht das Reichsparteitagsgelände auf dem Programm, ein riesiges Gebiet im Südosten der Stadt, auf dem die Nationalsozialisten jedes Jahr im September ihre Reichsparteitage inszenierten. Lukas steht in einem der vielen Eingangstore der niemals fertig gebauten Kongresshalle. Er sieht in dem kleinen Eingang winzig aus, obwohl er der Größte in unserem Kurs ist. Erst jetzt bemerken wir die riesigen Ausmaße dieses Bauwerkes, welches dem Kolosseum in Rom ähnelt. Von außen ist die Halle mit Granitplatten verkleidet, von innen sieht man jedoch die Backsteine, aus denen es gebaut ist.
Noch kleiner fühlen wir uns im Inneren, obwohl die Kongresshalle nur zur Hälfte erbaut wurde, weil ab Kriegsbeginn die Mittel fehlten. Einen letzten auf Überwältigung angelegten Ausblick auf die Halle haben wir draußen am Dutzendteich. Die Kongresshalle spiegelt sich beinahe vollständig in dem kleinen See, was sehr beeindruckend aussieht und auch so geplant war von Hitler und seinen Architekten.
Weiter gehen wir über das Gelände und umrunden das Zeppelinfeld, das so heißt, weil hier in den 1920er Jahren einmal ein Luftschiff landete. Bei den Reichsparteitagen nutzte man es für Aufmärsche und Feierstunden sowie den nächtlichen „Lichtdom“, der mit Flakscheinwerfern errichtet wurde. Die Zuschauer mussten Karten kaufen, um dann auf den eigens gebauten Tribünen Platz zu nehmen. Die Haupttribüne hinter der Rednerkanzel ist normalerweise verschlossen, aber da wir eine spezielle Führung mitmachen, hat die Dame von „Geschichte für alle“ einen Schlüssel zum sogenannten „Goldenen Saal“ und lässt uns aus der spätsommerlichen Hitze in die Kühle des düsteren Gebäudes.
Eingerichtet ist es als Empfangssal und Aufgang zur Rednerkanzel, aber dafür wurde es nie verwendet, weil die Akustik für Empfänge zu schlecht ist und weil Hitler lieber mit dem Auto vorfuhr. „Wartet kurz, eure Augen müssen sich erst an das wenige Licht gewöhnen“, ist der sinnvolle Hinweis unseres Tourguide (das Wort “Gruppenführerin” möchte man hier lieber vermeiden). Der „Goldene Saal“ ist länglich und hat eine mit Goldmosaik verzierte Decke. In dem Raum stehen zwei Feuerschalen, die ursprünglich draußen auf den Seitenflügeln der Tribüne standen, die man nach 1945 abgerissen hat.
Von dem Hauptsaal gehen kleine dunkle Räume ab, die Mitte der 1980er Jahre für eine erste Ausstellung zum Reichsparteitagsgelände genutzt wurden. Diese war von Studenten gestaltet und im Vergleich zum heutigen Dokumentationszentrum, das in die Kongresshalle wie ein Keil hineingebaut ist, klein. Alte Plakatwände und historisch bekleidete Puppen zeugen von der vergessenen alten Ausstellung. Heute kann man nur mit einer Taschenlampe dort hineinleuchten. Niklas kann der Versuchung nicht widerstehen, Hannah, die sich als letzte in einem der dunklen Räume aufhält, ordentlich zu erschrecken. Ihr Schrei erzeugt durch die Akustik ein Echo und hallt lange nach. Wir gehen durch das staubige Treppenhaus mit weiteren Deckenmosaiken, bei denen man das Hakenkreuz inzwischen entfernt hat, ins obere Stockwerk und schauen durch die mittlere Tür nach draußen auf die Rednerkanzel, sind dann aber ganz froh, wieder in den Sonnenschein hinausgelassen zu werden.
Macht und Stärke. So lässt sich das Gefühl beschreiben, selbst auf dieser Kanzel zu stehen. Ein Teil des Kurses ist auf die Kanzel gegangen, sieht herunter und kann sich nur vage vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, vor 320.000 Menschen zu stehen. So viele Menschen versammeln sich, um eine einzelne Person reden zu hören. Ich muss zugeben, dass dieses Gefühl ein gewisses Suchtpotential mit sich bringt und dabei haben wir nur eine kleine Kostprobe erhalten. Allein nur dort zu stehen und sich vorzustellen wie es gewesen sein muss, 320.000 Menschen deinen Namen rufen zu hören lässt es mir kalt den Rücken herunter laufen. Sätze wie „Ist schon krass, dort zu stehen, wo der damals stand“, oder „Können wir wieder zu den anderen gehen, es ist irgendwie komisch hier oben zu sein“, lassen mich annehmen, dass ich nicht der einzige aus dem Kurs bin, der so fühlt.
Nachmittags gibt es dann Erholung von der ganzen NS-Thematik: Wir gehen ins Germanische Nationalmuseum, jeder sucht sich ein Lieblingsstück und stellt es den anderen vor. Auch wenn der Charme des Museumspersonals eher fränkisch-zurückhaltend ist – „Wenn Sie eine Frage haben, müssen Sie eine Gruppenführung buchen!“ – gefällt es uns dort gut und vom Armreliquiar bis zur drachenzähmenden Margarete entdecken wir vieles, das uns fasziniert.
„All in, all in!“ „Sicher?“ „Nee, doch nicht.“ So ungefähr laufen die meisten Abende in der Lobby unserer Jugendherberge auf der Burg ab. In großer Runde bluffen Lehrer und Schüler um die Wette, wobei Gummifrüchte zu Spielchips umfunktioniert werden. Auch diejenigen ohne Pokererfahrung lernen schnell, so dass Frau Perret die erste Pokerrunde ihres Lebens legendär gewinnt und alle ihren Spaß haben.
Text: F. Berg, N. Lohmeier, L. Möhle, P. Mönning, I. Perret, W. Sacharow
Fotos: I. Perret, K. Weissleder